Die nationalsozialistischen Krankenmorde, nur unzureichend mit dem euphemistischen Begriff „Euthanasie“ – griechisch für „guter Tod“ – umschrieben, gehörten lange Jahre zu den vergessenen Massenverbrechen des „Dritten Reiches“. Diese Beobachtung gilt sowohl für die wissenschaftliche als auch für die breitere Öffentlichkeit. Erst seit den 1980er Jahren wurden größere wissenschaftliche Werke publiziert. Nur nach und nach rückten die Lebensgeschichten und das Leid der Ermordeten ins Zentrum des Interesses und sukzessive befassten sich medizinische Fachgesellschaften mit den Tätern aus den eigenen Reihen. Bis heute sind die verschiedenen Krankenmordaktionen in der Öffentlichkeit weiterhin wenig bekannt und noch immer harren viele Bereiche der „Euthanasie“ einer wissenschaftlichen Erforschung.
Auch die Institutionen der Krankenmorde wurden zunächst kaum beachtet, blieben aber im lokalen historischen Bewusstsein verankert. Zu einer allgemeinen Auseinandersetzung mit diesen Orten kam es ebenfalls erst in den 1980er Jahren, als die bisher verbreiteten lokalen Erzählungen von der NS-Vergangenheit überwiegend durch lokale und regionale Initiativen hinterfragt wurden. In diesem Zusammenhang entstand 1983 auch eine erste Ausstellung im Gebäude der ehemaligen Tötungsanstalt Hadamar, einer der sechs Mordstätten der „Aktion T4“, der frühen zentralisierten Phase im Kontext der „Erwachseneneuthanasie“. Diese Ausstellung legte die Basis für die Gründung der Gedenkstätte Hadamar. Ihre Aufgabe ist es, die Erinnerung an die Ermordeten wachzuhalten und ihre Lebensgeschichten zu erforschen und zu dokumentieren. Die Gedenkstätte Hadamar sieht sich darüber hinaus als eine Stätte der historisch-politischen Bildung, als ein außerschulischer Lernort und als ein Zentrum der wissenschaftlichen Forschung zur Geschichte der Tötungsanstalt Hadamar und der NS-„Euthanasie“.
Aufbauend auf dem aktuellen Stand der Forschung und eingedenk der Aufgaben der Gedenkstätte thematisiert die Schriftenreihe der Gedenkstätte Hadamar die Vielfalt an Perspektiven und Fragestellungen, die sich aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen ergibt. Hierzu gehören insbesondere die Vorgeschichte und die Voraussetzungen der Krankenmorde sowie deren langfristige Folgewirkungen – nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Kontext. Die Buchreihe leistet damit einen Beitrag zur Medizingeschichte, zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Geschichte und Praxis der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945.
Dagmar Herzog
Volker Roelcke
Jan Erik Schulte
Paul Weindling