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Am deutlichsten zeigt sich der Geltungsaspekt des Interpretationshandelns, wenn die fragliche Interpretation auf konkurrierende Auffassungen trifft. Im Konflikt der Interpretationen werden Geltungsansprüche ausgehandelt. Hier zeigt sich exemplarisch, welche normativen Ressourcen in Anspruch genommen werden, um diesen oder jenen claim zu verteidigen. Aber welche Muster sind dabei konkret im Spiel? Welche Logiken und Begrifflichkeiten bestimmen die Artikulation dieser Geltungsansprüche – und ihrer Analyse? Kurz: Wie verbinden sich Interpretations- und Geltungstheorie?
Als primärer Gegenstand der Hermeneutik erschien lange relativ klar eine Top-down-Reflexion auf die Natur von Erkenntnis, Verstehen und Interpretation. Das hat sich mit dem practice turn geändert. Durch diese zuerst seitens der Wissenschaftsgeschichte und der Sozialwissenschaften kultivierte Umorientierung kommt verstärkt der Bereich des konkreten Interpretationshandelns in den Blick. Die Aufmerksamkeit gilt, bottom-up, den Routinen der Bedeutungsproduktion - und dies insbesondere auch, wo die betreffenden kleinteiligen Praktiken nicht durch Methoden, sondern durch eine implizite und informelle Logik bestimmt sind. Der Sammelband lädt dazu ein, diesen produktiven turn im interdisziplinären Austausch zu bedenken und weiter voranzutreiben.
So offensichtlich Verstehen und Interpretieren die Kernbegrifflichkeit der fraglichen Theoriebildungen darstellen, so divers und kontrovers gestaltet sich in concreto das jeweilige Verstehen des Verstehens bzw. Interpretieren des Interpretierens. Der vorliegende Band lotet aus, was unter diesen Begriffen zu verstehen ist und wie sie sich zueinander verhalten: Bezeichnen sie distinkte Bereiche oder verschiedene Weisen der Bedeutungszuschreibung – und profilieren sich insofern wechselseitig? Sind sie in hierarchischer Weise aufeinander zu beziehen, sei es systematisch, sei es prozedural? Kann allenfalls auf einen der Begriffe verzichtet werden zugunsten des anderen?
Die Bedeutung von Missverstehensdiagnosen ergibt sich insbesondere aus ihrer intimen Verbindung mit dem Anspruch eines Richtig- bzw. Besserverstehens: Wer ein Misslingen konstatiert, muss über eine gewisse Vorstellung verfügen, was das Gelingen ausmacht. Das Missverstehen ist aber auch aufschlussreich, weil es einlädt, auf Varianten im Umgang mit Verstehensproblemen zu achten. Missverständnisse gelten in der Regel als Übel, weshalb sie zu vermeiden bzw. richtigzustellen seien. Aber nicht jedes Missverständnis wird korrigiert oder muss es werden.